es gibt eben sehr viele Konflikte, die unsherausfordern; und das ist ja auch hier der Gegenstand der Diskussionen. Ichmöchte mit einem beginnen, der mich persönlich in meiner Arbeit, aber auchviele von uns sehr umtreibt: das ist unser Verhältnis zu Russland. Russland warja in Form der Sowjetunion sozusagen der Antagonist in Zeiten des KaltenKrieges. Wir hatten ja nach dem Mauerfall durchaus die Hoffnung – in der Zeitist dann auch die NATO-Russland-Grundakte entstanden –, dass wir zu einembesseren Miteinander kommen könnten. Wenn ich mich jetzt noch einmal daranerinnere, dass im Jahr 2011 am Rande dieser Sicherheitskonferenz zwischenHillary Clinton und Sergej Lawrow die Ratifikationsurkunden für denAbrüstungsvertrag ?New START“ ausgetauscht wurden, dann erscheint einem dasheute, 2019, ziemlich lange her zu sein. Aber damals haben beide von einemMeilenstein in der strategischen Partnerschaft gesprochen. Ich sage das, um zuzeigen, was einerseits in den letzten Jahren passiert ist und dass es aberandererseits in ein paar Jahren wieder ganz anders aussehen kann, wenn sichSeiten auch miteinander auseinandersetzen. Deshalb möchte ich mich ganzherzlich bei Jens Stoltenberg dafür bedanken, dass er auch in den schwierigstenZeiten, die wir in den letzten Jahren hatten, nicht nur immer wieder auf derNATO-Russland-Grundakte beharrt hat, sondern das Gespräch gesucht hat. Rechtherzlichen Dank dafür!
2014 erfolgte im März die Annexion der Krim– ein klar völkerrechtswidriges Verhalten – und anschließend – PetroPoroschenko ist hier – der Angriff auf die Ostukraine; ein mühseligausgehandelter Waffenstillstand, sozusagen fragil, stabil gehalten durch dasMinsker Abkommen, mit dem Deutschland und Frankreich gemeinsam mit Russland undder Ukraine versuchen, den Konflikt zu lösen. Allerdings müssen wir sagen: Voneiner Lösung sind wir weit entfernt; wir müssen unbedingt weiterarbeiten.
Für uns, die Europäer, wenn ich das sosagen darf, war in diesem Jahr die wirklich schlechte Nachricht die Kündigungdes INF-Vertrags. Nach nicht jahrzehnte-, aber jahrelangen Verletzungen derVertragsbedingungen durch Russland ist diese Kündigung unabwendbar gewesen. Wirhaben sie als Europäer alle mitgetragen. Trotzdem ist es – das sage ich unserenamerikanischen Kollegen – eine ganz interessante Konstellation: Ein Vertrag,der im Grunde für Europa gefunden wurde, ein Abrüstungsvertrag, der unsereSicherheit betrifft, wird von den Vereinigten Staaten von Amerika und Russlandin der Rechtsnachfolge der Sowjetunion gekündigt; und wir sitzen da und werdennatürlich mit unseren elementaren Interessen auch alles versuchen, um weitereAbrüstungsschritte möglich zu machen. Denn die Antwort kann jetzt nicht inblindem Aufrüsten liegen.
Allerdings, da heute ja auch ein VertreterChinas da ist, würde ich sagen: Abrüstung ist etwas, das uns alle umtreibt undhinsichtlich der wir uns natürlich auch freuen würden, wenn nicht nur zwischenden Vereinigten Staaten, Europa und Russland solche Verhandlungen geführtwerden würden, sondern auch mit China. Ich weiß, dass es viele Vorbehalte gibt;ich will jetzt auch nicht in die Tiefe gehen. Aber freuen würden wir uns.
Genauso stellt sich natürlich die Frage,wie es mit den wirtschaftlichen Beziehungen zwischen China, den VereinigtenStaaten und Europa weitergeht. Das ist ein Riesenproblem. Wir erleben: Chinaist ein aufsteigendes Land. Wenn ich nach China fahre, sagen mir diechinesischen Vertreter: Wir waren 1.700 Jahre von den 2.000 Jahren seit ChristiGeburt die führende Wirtschaftsnation. Regt euch nicht auf; es passiert weitergar nichts, als dass wir wieder dahin kommen, wo wir immer waren. Ihr habt dasin den letzten 300 Jahren nur nicht erlebt. – Und wir sagen: In den letzten 300Jahren waren wir aber die Führenden; erst die Europäer, dann die VereinigtenStaaten von Amerika und dann wir zusammen. Nun aber müssen wir mit dergegebenen Situation umgehen und müssen vernünftige Lösungen finden, damitdaraus nicht ein uns gegenseitig schwächender Kampf wird.
Dazu sage ich ganz offen: Ich unterstütze alle Bemühungen der Fairness und desHandels. Ich spreche von Reziprozität. Darüber müssen wir reden. Wir solltendas im Sinne der Partnerschaft und der Tatsache tun, dass wir noch so vieleandere Probleme auf der Welt zu lösen haben, weshalb es hilfreich wäre, wirkönnten uns verständigen. Ich setze ja in die Verhandlungen, die jetzt imHandelsbereich mit den Vereinigten Staaten von Amerika geführt werden, großeHoffnungen.
Ich sage ganz offen: Wenn es uns mit der transatlantischen Partnerschaft ernstist, dann ist es für mich als deutsche Bundeskanzlerin zumindest nicht ganzeinfach, jetzt zu lesen, dass offensichtlich – ich habe es noch nichtschriftlich vor Augen gehabt – das amerikanische Handelsministerium sagt,europäische Autos seien eine Bedrohung der nationalen Sicherheit derVereinigten Staaten von Amerika. Schauen Sie: Wir sind stolz auf unsere Autos;und das dürfen wir ja auch sein. Diese Autos werden auch in den VereinigtenStaaten von Amerika gebaut. In South Carolina ist das größte BMW-Werk – nichtin Bayern, in South Carolina. South Carolina liefert wiederum nach China. Wenndiese Autos, die ja dadurch, dass sie in South Carolina gebaut werden, dochnicht weniger bedrohlich werden als dadurch, dass sie in Bayern gebaut werden,plötzlich eine Bedrohung der nationalen Sicherheit der Vereinigten Staaten vonAmerika sind, dann erschreckt uns das. Dann sage ich einfach nur: Ich glaube,es wäre gut, wenn wir in ordentliche Gespräche miteinander kommen würden.Immer, wenn einer etwas vorzubringen hat, muss man darüber reden – das ist aufder Welt so. Und dann werden wir auch Lösungen finden.
Meine Damen und Herren, all diese Fragen, die ja puzzleartig auf uns zukommenund die ich ja hier auch gar nicht alle nennen kann, sind letztlich Ausdruckeiner Grundfrage. Weil wir merken, wie groß der Druck auf unsere klassische,für uns gewohnte Ordnung ist, stellt sich jetzt die Frage: Fallen wir in lauterPuzzlestücke auseinander und denken, jeder kann das Problem für sich alleine amallerbesten lösen? Dazu kann man als deutsche Bundeskanzlerin nur sagen: Dasind die Chancen für uns schlecht. Denn die Vereinigten Staaten von Amerikasind wirtschaftlich so viel machtvoller, der Dollar als Währung ist so vielmachtvoller, dass ich nur sagen kann: Na klar, dann sind da die besserenKarten. China ist mit über 1,3 Milliarden Einwohnern so viel größer. Wir werdennoch so fleißig, noch so toll, noch so super sein können – mit 80 MillionenEinwohnern werden wir nicht dagegen ankommen, wenn sich China dafürentscheidet, dass man mit Deutschland keine guten Beziehungen mehr haben will.So wird sich das überall auf der Welt abspielen.
Deshalb ist die eine große Frage: Bleiben wir bei dem Prinzip des Multilateralismus,das die Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg mit dem von Deutschland ja verursachtenNationalsozialismus war, auch wenn multilateral nicht immer toll ist, sondernschwierig ist, langsam ist, kompliziert ist? Nach meiner festen Überzeugung istes besser, sich einmal in die Schuhe des anderen zu versetzen, einmal über deneigenen Tellerrand zu schauen und zu schauen, ob man gemeinsameWin-win-Lösungen erreicht, als zu meinen, alle Dinge allein lösen zu können.
Deshalb, meine Damen und Herren, war ich gestern Abend so glücklich, als ichmich auf meine Rede vorbereitet habe und ein Zitat von Lindsey Graham gelesenhabe, der gestern Abend gerufen hat: ?Multilateralismus mag kompliziert sein,aber er ist besser, als allein zu Hause zu sein.“ Ich finde, genau das ist dieAntwort auf das Motto dieser Tagung ?The Great Puzzle: Who Will Pick Up thePieces?“: Nur wir alle zusammen.
Herzlichen Dank.
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